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Auf den Hund gekommen


Auf den Hund gekommen

 

Am letzten Wochenende fand in Splügen das zweite von drei Schlittenhunderennen vom Graubünden Cup statt. Nach Tschierv (4./5. Januar) und Splügen (11./12. Januar) wird die Serie dieses Wochenende (18./19. Januar) in San Bernardino beendet. In dieser Kolumne geht es mir jedoch nicht ums Sportliche, sondern es wird tierisch psychologisch!

 

Schlittenhunde faszinieren mich seit jeher, wobei ich lange gar nicht wusste, woher das kam. Meine Kindheit war geprägt von Hunden, da wir auf unserem Bauernhof immer mindestens einen hatten. So entstand schon früh eine starke Bindung zu diesen Tieren und sie galten nicht nur als Haustiere, sondern auch als Familienmitglieder. Ihr Feingefühl ist unglaublich ausgeprägt und übertrifft das von Menschen meistens bei Weitem. Sie spüren wie es einem geht, lange bevor man irgendetwas gesagt oder getan hat. Dann waren da Filme wie Iron Will (Der Wille zum Sieg) in den 90er-Jahren, der bei uns zu Hause sehr beliebt war und uns erste Bilder von Schlittenhunden vermittelte. Schlittenhunde und Nordamerika, das ist eine starke Kombination von Kinderträumen, die einen nicht mehr aus dem Kopf gehen.

 

Gut 20 Jahre später durfte ich dann endlich auch meine erste persönliche Erfahrung mit Schlittenhunden machen und ich war völlig überwältigt von der Mischung aus Motivation, Instinkt, Kraft, Wille und Liebenswürdigkeit der Tiere. Diese Tour fand damals im Frühling im Malbun statt und der Anbieter Thomas Pargätzi wanderte bald darauf mit seiner Familie und den Hunden nach Schweden aus. Zu finden sind sie nun unter Husky Abenteuer Rönnliden, falls sich jemand dieses Erlebnis authentisch in der Schwedischen Wildnis gönnen möchte.

 

Anspannung und Entspannung

In der Zwischenzeit hat sich meine Faszination an Schlittenhunden kein wenig verringert, eher im Gegenteil. Letztes Wochenende in Splügen habe ich dann plötzlich ein paar neue Eigenschaften der Hunde entdeckt, die meine Faszination begründen könnten. In meiner Ausbildung geht es oft um die Themen Anspannung (Stress) und Entspannung. Um das Folgende besser zu erklären, mache ich einen ganz kurzen Abstecher in die Neurologie:

 

Der sogenannte „Sympathikus“ ist ein Nerv, der auf Anspannung reagiert. Er erhöht die nach aussen gerichtete Aktionsfähigkeit bei tatsächlicher oder gefühlter Belastung (Kampf- oder Fluchtmodus) und steuert Funktionen, welche eine Leistungssteigerung bewirken. Auf der Gegenseite arbeitet ergänzend dazu der „Parasympathikus“, welcher auch „Ruhenerv“ oder „Erholungsnerv“ genannt wird. Er steuert die meisten inneren Organe und den Blutkreislauf. Beide regulieren also in einer komplexen Zusammenarbeit unsere Organtätigkeit.

 

Diese zwei Nerven verhalten sich ähnlich wie Muskeln: Benützt man sie regelmässig, werden sie stärker. Vernachlässigt man sie, werden sie schwächer. Werden sie zu schwach, kann man mit der Zeit in eine Depression oder in ein Burnout geraten. Das Problem heutzutage ist also nicht zu viel Stress oder Anspannung, sondern die fehlende Entspannung. Fallen diese beiden Faktoren aus dem Gleichgewicht, kann es kritisch und sogar sehr gefährlich werden. Stress an sich ist sehr wichtig für uns Menschen, um geistig auf Trab zu bleiben und unsere Reaktion darauf zu trainieren. Diese Reaktion sollte nicht einfach ein Reflex sein, da dieser meist unbewusst ausgeführt wird, sondern es sollte eine bewusste Reaktion respektive eine Antwort sein. Ebenso wichtig ist auf der anderen Seite die Entspannung, da sie uns wieder auf den Boden bringt, erdet, ausgleicht, eicht, oder eben einfach wieder zu uns selbst führt. Entspannung beruhigt und gibt uns wieder Kraft für kommende Stresssituationen.

 

Auf den Hund gekommen

Dieses Sprichwort bedeutet etwa „in schlimme Umstände geraten“ und ich habe es deshalb als Titel gewählt, weil man in schlimme Umstände geraten kann, wenn man es eben nicht wie die Hunde macht. Schlittenhunde bieten ein sehr eindrückliches und passendes Beispiel.

 

Wir kommen in Splügen an begeben uns zum Camp: Die Fahrzeuge der Teilnehmer sind in einer Reihe parkiert und daneben sind deren Schlittenhunde angeleint. Willigt der Besitzer ein, darf man seine Hunde streicheln. Manche bellen und heulen rum oder buddeln Löcher in den Schnee. Sie lassen sich wahrscheinlich von der leichten Anspannung aus dem Umfeld leiten und kommen nicht zur Ruhe. Andere Hunde freuen sich dermassen über Besucher, dass sie dich anspringen und völlig aus dem Häuschen sind, wenn du ihnen die gewünschte Aufmerksamkeit schenkst. Das könnten sie von der Aufregung der Besucher übernommen haben, zumindest was mich als Besucher betrifft, wäre das eine sehr passende Erklärung.

 

Dann kommen die Paradebeispiele zum Vorschein: Diese Hunde liegen seelenruhig im Schnee, beobachten ihr Umfeld, ohne gross darauf zu reagieren. Sie lassen sich zwar streicheln, doch sie geben dir das Gefühl, dass du mehr davon hast als sie (was genau genommen auch der Wahrheit entspricht). Sie sind völlig entspannt und leben im Moment. Sie trainieren ihren Parasympathikus. Doch sobald sie vor den Schlitten gespannt werden entlasten sie den Parasympathikus und der Sympathikus kommt zum Zug: Sie wissen es geht bald los und dementsprechend wird ihr Körper auf ihren bevorstehenden Läufereinsatz vorbereitet: Das Herz schlägt schneller, der Blutdruck steigt und mehr Sauerstoff wird in den Körper gepumpt. Und während dem Rennen? Da wird einfach gerannt, was das Zeug hält. Sie denken niemals „was gibt es danach zu fressen?“ oder „wie weit ist es denn noch?“, sondern sie leben im Moment und führen zuverlässig und vorbildlich ihren Auftrag aus.

 

Natürlich gibt es Schlittenhunde, die sich auf dieses Thema bezogen weniger vorbildlich verhalten und rennen würden, bis sie tot umfallen. Dann leben sie zwar im Moment, aber wahrscheinlich so verkrampft, dass sie jegliche Zeichen ihres Körpers und dadurch auch die Entspannung vernachlässigen. Das klingt ziemlich menschlich, oder etwa nicht? Wie immer im Leben geht es um ein Mittelmass: Es ist wichtig, im Moment zu leben und doch sollte man etwas vorausschauend handeln, damit man sich nicht unnötige Schwierigkeiten einhandelt.

 

Anspannen und Entspannen, beide sind wichtig und nötig, wie beim Muskelaufbau. Das eine allein kann zum Problem werden. Ursache und Wirkung scheint so ein einfaches Prinzip zu sein, und doch wird es vielmals stark unterschätzt. Daher lohnt es sich, aus dem beliebten „entweder…oder“-Modus wegzukommen und in den „sowohl…als auch“-Modus zu gelangen.

 

Wie so oft klingt es viel einfacher, als es ist. Prinzipien mögen theoretisch sehr einfach sein, doch die praktische Umsetzung ist eine andere Welt. Einfach wäre vielleicht auch langweilig, weil es dann jeder mühelos umsetzen könnte, ohne zuerst etwas über sich selbst zu lernen.

 

Solange Schlittenhunde zu meinen Lehrern gehören, finde ich das eine tolle Schule hier!

Übrigens: Hundebesitzer unter euch werden bestimmt Parallelen zu euren Hunden finden.

Also, schaut bitte zu, dass ihr nicht auf den Hund kommt!

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