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Sensible Männer - Sensibilly Teil 2


Sensible Männer - Sensibilly Teil 2

 

Im ersten Teil hat uns Billy erklärt, wie er während seiner Jugendzeit bemerkt hat, dass er sensibler ist als andere Knaben und wieso das für ihn eine schwierige Erfahrung gewesen ist. Im jetzigen Teil geht es um seine positiven Erkenntnisse und seine heutigen Ansichten.

 

Gaudi: Wie kannst du irgendetwas Positives daran sehen, wenn du ausgenutzt wirst?

Billy: Genau diese Frage habe ich mir oft gestellt auf meiner Suche nach dem Guten, doch sie bezieht sich auf das Verhalten der Mitmenschen und darum geht’s nur indirekt. Es geht um uns selbst und deshalb bin ich erst weiter gekommen als ich die Frage anders gestellt habe und zwar so: „Wie kann ich irgendetwas Schlechtes daran sehen, wenn ich gutmütig bin?“ Und die Antwort hat ganz klar gelautet: „Nichts! Es ist niemals schlecht, gutmütig zu sein. Punkt.“ So klar diese Antwort auch scheint, sie hat mich nicht sehr lange zufrieden gestellt. Trotzdem ist sie unglaublich wichtig, denn sie hat meine sensible Seite langsam in ein gutes Licht gerückt und sie hat mir das erste Türchen von meinem Ausweg aus meinen Selbstzweifel geöffnet. Weil wir Menschen nie genug Antworten erhalten können, ist meine nächste Frage dann ziemlich schnell aufgeblitzt: „Wenn Gutmütigkeit nicht schlecht ist, wieso löst es dann schlechte Erfahrungen bei mir aus?“ Die Suche nach einer Antwort auf diese Frage hat mich durch verschiedenste Gebiete der Psychologie und so zu einem Wendepunkt in meinem Leben geführt. Dieser ist von meinem damaligen Online-Mentor Jay Shetty ausgelöst worden als er uns die menschliche Selbstwahrnehmung folgendermassen erklärt hat: „Unser Selbstbild basiert nicht auf dem, wie wir uns selbst wahrnehmen, sondern auf Äusserungen von unseren Mitmenschen und Annahmen, wie uns andere wahrnehmen könnten. Wir definieren uns selbst also über unser Umfeld.“ Und aus diesem Grund zweifeln wir zuerst an uns selbst, wenn wir ausgenutzt werden. Erst wenn wir unser Wohlbefinden nicht mehr vom Verhalten unserer Mitmenschen abhängig machen, sind wir unabhängig. Und erst dann löst Gutmütigkeit keine schlechten Erfahrungen mehr aus.

 

Gaudi: Also wirst du nicht mehr ausgenutzt, seitdem du diese Erklärung der Selbstwahrnehmung gehört hast?

Billy: So einfach ist es leider nicht. Diese Erklärung schützt einen nicht davor, ausgenutzt zu werden, doch der Fokus wird anders gesetzt. Diese Erklärung hat bei mir das Fundament zum Selbstbewusstsein gelegt und mich auf einen unglaublich spannenden Weg gebracht. Selbstbewusstsein bedeutet, dass der Fokus auf dem eigenen Verhalten liegt. Dann heisst es nicht mehr „ausgenutzt werden“ sondern „sich ausnutzen lassen“ und das eigene Verhalten verschiebt sich vom Passiven ins Aktive. Und zwar auf allen Ebenen. Fragt man sich selbst, wieso man sich ausnutzen lässt, dann landet man bald auf dem Gebiet der persönlichen Abgrenzung. Was lässt man sich alles gefallen und was nicht? Wie viel gibt man, ohne eine Gegenleistung zu erwarten? Wieso erwartet unser Verstand meistens eine ähnliche Gegenleistung von einem Mitmenschen, wenn wir ihm etwas Gutes tun? Wieso glauben wir nicht, dass das Gute auf einem anderen Weg zu uns zurück findet? Wieso ist bedingungsloses Geben so schwierig? Bis wie weit ist es Abgrenzung und ab wann ist es emotionale Selbstisolation? Wieso stellen wir so hohe Erwartungen an andere und vor allem auch an uns selbst? Wieso ist etwas, das man gut meint, meistens nur gut für andere aber nicht gut für uns selbst? Wann geht es um Egoismus und wann um Selbstliebe? Und wieso um Himmels Willen stellen wir uns immer wieder neue Fragen, sobald wir eine Antwort erhalten haben? Ich bin nun seit ein paar Jahren mit diesem Prozess beschäftigt und ich habe für mich herausgefunden, dass die Fragestellungen mindestens so bedeutend sind wie die Antworten darauf. Und meine allerwichtigste Lektion aus all diesen verschiedenen Gebieten ist diese, dass wir auf alle Fragen unsere eigene, persönliche Antwort herausfinden respektive finden dürfen. Ich lese immer wieder etwas Neues und denke dabei: „Jawohl, genau das ist meine Antwort, die ich gesucht habe!“ Nachdem man das ein paar Mal gesagt hat bei ganz verschiedenen Aussagen von verschiedenen Autoren, darf man einsehen, dass die eigene Antwort irgendwo ganz individuell dazwischen liegt.

 

Gaudi: Leider können wir nicht auf all diese spannenden Fragen eingehen, doch mich nimmt es jetzt noch Wunder, wie deine persönliche Wahrheit genau ausschaut?

Billy: Meine persönliche Wahrheit unterliegt einem stetigen Wandel wie es mein Leben an sich auch tut und das finde ich sehr wichtig so. Am Prägendsten war für mich bisher das Thema Konstruktivismus und auf diesem basiert auch meine momentane Wahrheit: Es gibt weder eine richtige Antwort noch eine einzige Wahrheit, weil wir uns alle in eigener eigenen Realität befinden. Diese in meinen Augen philosophisch und psychologisch sinnvolle Ansicht ist in unserer Gesellschaft momentan leider genau so wenig verbreitet wie eine anständige und rücksichtsvolle Kommunikation. Doch ich bin optimistisch, dass sich das sehr bald ändern könnte und das schliesst den Kreis zur Sensibilität.

 

Gaudi: Nun noch die abschliessenden Fragen: Was genau stimmt dich so optimistisch und was hat das alles mit Sensibilität zu tun?

Billy: Ich nehme in meinem gesamten Umfeld eine Zunahme von Fehlkommunikation und Konflikten wahr und der einzige Weg, diese zu überwinden führt über eine Sensibilisierung von Themen wie Kommunikation und Verhaltenspsychologie. Wer sich nicht an Lösungen von Konflikten interessiert, sondern weiterhin auf den Problemen und auf den Meinungen seiner Mitmenschen herumhackt, der wird in Konflikten versinken. Es geht gesellschaftlich um einen Ausgleich der stattfinden muss und für den ich auch Anzeichen in meinem Umfeld sehe, bei Frauen wie auch bei Männern. Jeder von uns besitzt einen männlichen und einen weiblichen Anteil, doch diese sind selten ausgeglichen. Wir haben ein völlig verschobenes Menschenbild davon, wie man als Frau oder Mann sein soll. Sensible Männer sind also aus meiner Erfahrung gesehen ausgeglichener als andere Männer.

 

Gaudi: Mit diesen Worten schliesse ich dieses Interview ab, obwohl es alles andere als abgeschlossen scheint. Ich hoffe auf weitere Gespräche mit Billy und bin sehr gespannt, wie sich dieser Ausgleich in unserer Gesellschaft zeigen wird. Vielen Dank und bis bald!

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