Die Schattenseite der Sonne – Teil 1
Mein Bruder ist Hobbyfotograf und macht gerade eine Weiterbildung in der so genannten Low Key Fotografie. Das ist eine Fototechnik, bei der die dunklen Bildanteile überwiegen und so einen ganz eigenen Effekt entstehen lassen. Weitere Effekte zeigen sich, wenn man die Verbindungen zwischen dieser Fototechnik und dem Leben an sich beleuchtet.
Ich stellte mich meinem Bruder als Versuchskaninchen zur Verfügung und er schoss ein paar Fotos. Es war eindrücklich zu erleben, wie bereits kleinste Veränderungen an der Position des Blitzes ein komplett anderes Foto ergaben, obwohl ich mich selbst nicht rührte. Wir kamen auf Themen wie Perspektive, Licht und Schattenseite zu sprechen und er erklärte mir, dass es in der Fotografie grundsätzlich nur darum geht, Licht „einzufangen“. Natürlich, darum wurden Fotos früher auch Lichtbilder genannt, das ist ja nichts Aussergewöhnliches.
Aber jetzt folgt ein sehr einfaches Beispiel, das bei mir eine ganze Reihe neuer Ansichten und Einsichten auslöste: Die Position des Fotografen ist mehr oder weniger immer dieselbe. Die Position vom Blitz und meine Kopfhaltung sind veränderbar. Wird der Blitz direkt bei der Kamera ausgelöst und schaut man gerade in die Kamera, ist das ganze Gesicht beleuchtet und es entstehen keine Schatten. Die Schattenseite befindet sich auf der Rückseite von meinem Kopf, aber wir fokussieren uns nur auf das Gesicht. Wird bei gleicher Kopfhaltung der Blitz etwas links von mir aufgestellt, dann entstehen kleine Schatten auf meiner rechten Gesichtshälfte. Wird nun der Blitz noch weiter links von mir aufgestellt, also um fast 90 Grad verschoben zu meiner Kopfhaltung, dann entsteht das Titelfoto von diesem Artikel. Zudem lässt sich die Lichtstärke vom Blitz einstellen, was den Schwarz-weiss-effekt beeinflusst.
Während ich so dasitze habe ich genügend Zeit zu überlegen und in meinem Kopf schwirren Gedanken über die Schattenseite der Menschen herum. Jeder hat eine Kehrseite und es sind immer beide Seiten einer Medaille zu beachten. So zumindest hört „man“ das halt so. Doch was hat es mit dem Blitzlicht und den dadurch entstehenden Schatten auf sich? Die Abfolge meiner Gedanken dazu und vor allem die daraus entstandenen Einsichten sind ein wenig turbulent, jedoch sehr interessant für alle kleinen Philosophen unter euch, daher versuche ich sie der Reihe nach zu schildern. Damit der direkte Bezug zum Leben gelingt, kann der Blitz oder das Licht als Liebe angesehen werden, dem entsprechend steht der Schatten respektive Dunkelheit für Angst, oder einfach Abwesenheit von Liebe.
Zuerst befasse ich mich mit dem Verhältnis zwischen Licht und Schatten: Je stärker das Licht, desto dunkler der Schatten. Wie man auf solchen Low Key Fotos ganz klar erkennen kann, gibt es nicht einfach nur hell oder dunkel, sondern verschiedene Lichtstärken. Stellt man sich nun einen Raum voll Kerzen vor und in der Mitte brennt eine Kerze alleine, dann werfen alle anderen Kerzen ihre Schatten. Je nachdem wie stark die Kerze in der Mitte brennt, sind die Schatten der anderen Kerzen schwächer oder stärker. Wenn man nun als Kerze etwas Mitgefühl besitzt, dann möchte man niemanden in den Schatten stellen und das gelingt nur dann, wenn man selbst auch leuchtet. Licht kann zwar geblockt werden, doch jede Kerze besitzt alles Nötige, um selbst auch zu leuchten. Ich kann mich gerade nicht an den Autor erinnern, doch diese Worte lauteten etwa so: „Wer Licht verbreiten will, muss dafür brennen.“ Für mich ist das eine sehr wichtige Beschreibung der Absichten. Niemand kann echte Liebe verbreiten, wenn er es nicht auch ganz klar beabsichtigt und ernst meint.
Selbstverständlich ist meine ursprüngliche Gedankenabfolge bereits völlig aus dem Ruder gelaufen und es sind bereits neue Ansichten und Einsichten entstanden. Doch genau das ist der wertvollste Nutzen daraus, wenn man seine Gedanken aufschreibt: So können sich die Gedanken erst richtig entfalten und vielleicht überschlagen sie sich auch manchmal, aber es ergeben sich völlig neue Erkenntnisse daraus. Während meiner Lehre zum Kältemonteur hatten wir ein Schulfach namens Thermodynamik, also Wärmelehre. Wärme wird durch nichts anderes als durch die Schwingung der Moleküle definiert und auch da besteht ein klarer Zusammenhang zu Licht und Liebe. Bei allen Energieformen ist die Schwingung ausschlaggebend für die Stärke. Energetisch gesehen gibt es also keine Kälte, es gibt nur mehr oder weniger Wärme. Kälte ist energetisch nur die Abwesenheit von Wärme. Genauso ist es beim Schatten auch; Schatten ist nur Abwesenheit von Licht. Weiter oben habe ich von Angst gesprochen, oder eben auch von Abwesenheit von Liebe. Was für ein Zufall! Wenn wir nun diese neuen Einsichten auf unsere Kerzen übertragen, kann man folgendes sagen: Schatten kann man nicht verbreiten, man kann nur Licht blockieren. Schatten entsteht nur, wenn man sich dem Licht in den Weg stellt.
Eine weitere Überlegung betrifft die Perspektive, also die Kamera. Befindet sich der Blitz irgendwo im Raum und man schiesst ein Foto, wird nur ein bestimmter Teil des Models beleuchtet und man sieht so gesehen nur genau den Teil, der gezeigt werden möchte. Gleichzeitig entsteht eine verhältnismässig grosse Schattenseite, je nach Blick- und Blitzwinkel. Wird der Blitz jedoch direkt bei der Kamera selbst ausgelöst und blickt das Model gerade in die Kamera, dann wird das komplette Gesicht ausgeleuchtet und das Model kann nichts verbergen. In diesem Sinne „kommt alles ans Licht“, was zwar sehr unangenehm sein kann, aber meiner Meinung nach ist das immer noch besser, als wenn etwas verborgen bleibt oder versteckt gehalten wird. Durch die Veränderung der Kopfhaltung können trotzdem Sachen verborgen werden, doch das ist dann der Zeitpunkt, wo der Blickkontakt nicht mehr aufrecht gehalten werden kann. Das geschieht, wenn jemand ein schlechtes Gewissen hat.
Wie soll ich nun mitten in dieser Flut von Eindrücken zu einem Schluss gelangen? Meine jüngsten Gedanken befassen sich mit dem Zusammenhang vom Blick- und Blitzwinkel. Betrachtest du jemanden durch eine Linse (Blick) der Liebe (Blitz) und er/sie schaut dich direkt an, kannst du dann keine Schattenseite erkennen? Oder zeigt sich die Schattenseite nur, wenn er/sie wegschaut? Während dem Schreiben hat sich meine ursprüngliche Einsicht komplett verändert. Diese lautete so: „Solange du Licht ausstrahlst, kann dir niemand seine Schattenseite zeigen.“ Diese Ansicht passt irgendwie nur, wenn Blickkontakt besteht. Ich denke es wird noch mindestens einen weiteren Teil zu diesem Thema geben.
Passenderweise sind manche meiner Überlegungen durch diesen Text in ein anderes Licht gerückt. Und ebenso passend zum Thema werden die Tage endlich wieder länger. Ich hoffe ihr hattet einen guten Start ins 2020 und wünsche euch kein oder ein nicht tiefes Januarloch!
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